Neue Prozessrisiken bei personenbedingten Kündigungen
Aus dem aktuellen kostenlosen Newsletter
“Wirtschaft-vertraulich”:
Liebe Leser,
als Arbeitgeber stehen Ihnen im deutschen Arbeitsrecht 3 grundsätzliche Kündigungsgründe für einen Mitarbeiter zur Verfügung. Die Kündigungsgründe werden unterteilt in:
- betriebsbedingte Gründe
- verhaltensbedingte Gründe
- personenbedingte Gründe
Während bei einer betriebsbedingten Kündigung der konkrete Grund in der Verantwortlichkeit des Arbeitgebers selbst liegt, beziehen sich die personen- bzw. verhaltensbedingten Gründe direkt auf den Arbeitnehmer.
Der wesentliche Unterschied dabei: Während bei einer verhaltensbedingten Kündigung der Mitarbeiter in der Regel seinen arbeitsvertraglichen Pflichten nicht nachkommen will, fehlt bei einer personenbedingten Kündigung das Können, weil der Mitarbeiter die Befähigung oder Eignung zur Erbringung der Arbeitsleistung verloren hat.
Personenbedingte Kündigungen sind oftmals Einzelfall-Entscheidungen
Das zeigt die besondere Schwierigkeit, der auch Arbeitgeber gegenüberstehen, wenn sie solch ein Arbeitsverhältnis lösen wollen. Denn hier geht es schnell um eine Einzelfallentscheidung. Was auch umfasst, dass vor einer Kündigung auch über zumutbare Maßnahmen geredet werden muss, um den Mitarbeiter in die Lage zu versetzen, seinen Arbeitsvertrag doch wieder erfüllen zu können. Außerdem überprüfen Gerichte diesbezüglich immer wieder die Verhältnismäßigkeit einer solchen Kündigung.
Für Sie als Arbeitgeber bedeutet das konkret: Bei personenbedingten Kündigungen sind die Prozessrisiken deutlich höher als bei anderen Kündigungsgründen. Und eine neue Urteilsbegründung des Bundesarbeitsgerichts zeigt auf, dass die Prozessrisiken sogar noch zunehmen. Dazu folgender Fall:
Was kann als Behinderung gelten?
Der Kläger war an einer HIV-Infektion erkrankt, in seiner Leistungsfähigkeit allerdings nicht eingeschränkt. Allerdings erklärte der Arbeitgeber, den Mitarbeiter wegen der Infektion nicht an dem ursprünglich zugeteilten Arbeitsplatz (ein Reinraum bei der pharmazeutischen Produktion) weiter beschäftigen zu können und kündigte ordentlich. Der Kläger machte geltend, durch seine Erkrankung behindert zu sein und dass eine Kündigung deswegen ihn diskriminiere.
Dieser Argumentation konnten sich die Bundesarbeitsrichter größtenteils anschließen (Az. 6 AZR 190/12). Sie schätzen ein, dass HIV-Infizierte aufgrund weiterhin verbreiteter Vorurteile gesellschaftlich und beruflich stigmatisiert sind. Aufgrund der Definition von Behinderung im Rahmen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) würde dieser Umstand als Behinderung auch bei einer symptomlosen HIV-Infektion angesehen werden, weil eine Teilhabe am gesellschaftlichen und beruflichen Leben eingeschränkt sein kann.
Die Folgen der Definition von Behinderung
Kündigungen aufgrund der Krankheit könnten wegen Diskriminierung deshalb unzulässig sein, befanden die Bundesarbeitsrichter. Was weitreichende Folgen auch für andere chronische Erkrankungen haben könnte. Denn nach dieser Definition könnten auch Volkskrankheiten wie Diabetes, Arthrose und Rheuma womöglich Behinderungen darstellen. Dann wäre in jedem Einzelfall zu prüfen, ob der Gekündigte Krankheitsdiskriminierung geltend machen kann.
Für Sie als Arbeitgeber kann das extreme Schwierigkeiten bedeuten. Denn:
Bejaht das Arbeitsgericht eine Behinderung, kann das nicht nur die Entlassung rechtsunwirksam machen. Kreidet man Ihnen zugleich Diskriminierung an, können Arbeitnehmer zudem Entschädigung verlangen. Selbst Kündigungen während der Probezeit unterliegen laut Bundesarbeitsgericht der AGG-Kontrolle.
Mit besten Grüßen
Carsten Müller
Chefredakteur: „Wirtschaft-vertraulich“ und „www.deutscher-wirtschaftsbrief.de“
keine Kommentare...